Decay: The Mare - Reif für die Anstalt - (PC-)User-Review

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    • Decay: The Mare - Reif für die Anstalt - (PC-)User-Review

      Unter Adventure-Fans haben Spiele in Episoden-Form nicht immer den besten Ruf. Technisch sind sie oft von minderer Qualität und nur als Download erhältlich. Außerdem erscheinen die einzelnen Episoden in zeitlich auseinander liegenden Abständen und unterbrechen dadurch den Spielfluss. Decay - The Mare ist ein Episoden-Adventure. Die ersten beiden Episoden erschienen bereits vor geraumer Zeit, die dritte und abschließende Episode deutlich später, erst im Februar 2015, was die Verantwortlichen dazu bewogen hat, alle drei Episoden als Komplettpaket auf den Markt zu bringen. Besagtes Paket liegt längst als kostenpflichtiger Download vor. Schließlich brachte Publisher Daedalic Entertainment den Indie-Titel außerdem als DRM-freie Retail-Fassung in den Handel. Laut Verpackungstext hat sich Decay - The Mare von bekannten Grusel- und Mystery-Adventures wie Phantasmagorias, The 11th Hour oder Gabriel Knight inspirieren lassen.

      Krankenhäuser, Psychiatrien, überhaupt medizinische Einrichtungen eigneten sich schon immer als Kulisse für unterhaltsame Grusel-Adventures. Für Patienten ist der Aufenthalt dort nicht ganz so spaßig. Diese Erfahrung macht jetzt auch der Drogenabhängige Sam. Sein langer Weg als Junkie hat ihn in die Entzugsanstalt Reaching Dreams geführt. Hier hofft er, seine Suchtprobleme in den Griff zu bekommen. Doch irgendwas läuft schief, denn was als Therapie geplant war, soll schon bald in einen Horror-Trip münden.

      Cold Turkey

      Eigentlich beginn alles ziemlich harmlos. Um während der ersten Nacht nach seiner Einlieferung in die Drogen-Entzugsanstalt Reaching Dreams besser einschlafen zu können, nimmt Sam, den wir fortan aus der Ego-Perspektive steuern, zu später Stunde einige Tabletten zu sich. Die Pillen wirken sofort. Nur leider anders als erwartet, denn kurz darauf schlittert der Protagonist in einen bösen Alptraum, um gleichzeitig in einer völlig veränderten Parallelwelt zu "erwachen". Aber ist dies tatsächlich nur ein Traum? Fest steht, die einst bieder und steril anmutende Anstalt hat sich verändert. Allein schon rein optisch. Alles wirkt unaufgeräumt und chaotisch, Gerümpel liegt in den Gängen und Fluren verteilt, die Wände sind mit ominösen Schriftzeichen und düsteren Symbolen beschmiert, fast überall Schmutz und Unrat. Und Blutspuren. Keine Frage: In der Klinik ist oder wird etwas Schreckliches geschehen. Nur was? Dies zu ergründen, wird unsere Aufgabe in den nächsten drei Spielstunden sein. Denn - zumindest so viel sei bereits an dieser Stelle verraten - deutlich länger dürfte man als halbwegs erfahrener Adventure-Spieler für Decay - The Mare nicht benötigen.

      Holt mich hier raus!

      Es wäre nicht völlig ungewöhnlich, wenn der Patient nach einem längeren Aufenthalt in der Anstalt dieselbe weitaus gestörter verlassen würde als er sie ursprünglich mal betreten hat. Ein ähnliches Schicksal wollen wir Sam natürlich ersparen. Nun wäre eine Flucht aus der Klinik für sich allein genommen aber wenig abendfüllend. Deshalb haben uns die Entwickler von Shining Gate Software so etwas wie eine Story spendiert. Eine kleine Geschichte, die über drei kurze Episoden hinweg erzählt wird und zu einem von insgesamt zwei unterschiedlichen Enden führt. Welches Ende das ist, hängt davon ab, wie sich der Spieler gegen Schluss der dritten Episode entscheidet. Auf dem Weg dorthin erwarten uns neben den obligatorischen Rätseln einige Hinweise, deren Bruchstücke sich allmählich zu einem Ganzen fügen. Während der ersten Zeit tappen wir dabei noch ziemlich im Dunkeln, zumal zunächst nicht ganz klar ist, ob das Dargebotene nun Realität ist oder die abstrusen Geschehnisse vielmehr auf die Visionen bzw. Entzugserscheinungen eines Drogenabhängigen zurückzuführen sind (der Tester verabscheut harte Drogen; daher kann er schlecht einschätzen, was in solchen Menschen vorgeht). Eine ungefähre Richtung ergibt sich nur langsam. So stoßen wir zum Beispiel auf Aufzeichnungen über eine gewisse Jenny, die von einem geheimnisvollen Mann berichtet, der ständig um ihr Haus schleicht. Die Lage spitzt sich zu, als wir auf eine blutverschmierte (Damen-)Tasche treffen, die atmungsaktiv ist (also wirklich atmet) und das Gespräch mit uns sucht. Und im Küchenbereich begegnen wir einem Pianisten, der uns zukünftig wohl nicht mehr mit seinem Klavierspiel erfreuen wird, denn im Kühlschrank liegt dessen abgetrennter Kopf.

      Old School

      Nach all den auf Exploration setzenden Adventures, die in jüngerer Zeit zunehmend in Mode kamen, hat man sich schon gefragt, wo sie denn geblieben sind, die klassischen Point & Click-Adventures, die noch richtig was zum Knobeln boten. Dear Esther (2012), Gone Home (2013) und The Vanishing of Ethan Carter (2014) waren erzählerisch und atmosphärisch relativ stark, in Sachen Rätsel-Spaß dafür aber umso schwächer und von daher wenig fordernd. Fast möchte man meinen, dass auf Decay - The Mare das genaue Gegenteil zutrifft. Was die Rätsel-Aufgaben betrifft, macht das Episoden-Adventure nämlich erstaunlich viel richtig. Mehr jedenfalls, als man von einer ganzen Reihe anderer Indie-Titel mittlerweile gewohnt ist. So müssen wir beispielsweise nach Pfeilen, die auf einen Zettel aufgemalt sind, in der richtigen Reihenfolge Türen öffnen, um ein Labyrinth zu durchqueren, von Meterangaben in einem Bericht auf eine später benötigte Zahlenkombination schließen oder Schlüssel finden, die Sam braucht, um sich Zugang zu verschlossenen Räumen zu verschaffen. An bestimmten Stellen kann es empfehlenswert sein, Stift und Bleistift griffbereit zu halten, um sich Zahlen und Zeichen zu notieren, denn eine Art Notizbuch, in dem alle Details aufgelistet werden, gibt es hier nicht. Und ins Inventar, das sich per Tastendruck oder Mausklick aufrufen lässt, werden nicht alle fürs weitere Fortkommen wichtigen Infos abgelegt.

      Die Rätsel in Decay - The Mare sind nicht wirklich schwer, erfordern neben Kombinationsfähigkeit und ein wenig Fantasie jedoch ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit. Sollten sich dennoch einmal Probleme einstellen, ist das nicht weiter tragisch. Denn das Spiel verfügt über eine Hilfe-Funktion. Per Klick auf ein Fragezeichen erhalten wir zusätzliche Hinweise. Zwar wird dem Spieler nicht verraten, was genau zu tun ist, aber ihm wird mitgeteilt, wo noch etwas zu tun ist (z.B. "Du musst Dich hier weiter umschauen!") und er erhält einen Fingerzeig auf den für die Lösung wichtigen Raum. Dadurch wird vermieden, dass wir völlig orientierungslos durch die Anstalt latschen und wiederholt ein Zimmer nach dem anderen abklappern müssen. Wer es etwas kniffliger mag, sich mehr Zeit für das Spiel nehmen will und zusätzliche Laufarbeit in Kauf nimmt, verzichtet besser auf den Einsatz der Hilfefunktion. Diese verschwindet ohnehin, sobald der Spieler alle Tipps vor Ort erhalten hat. Unverzichtbar sind zwei weitere Hilfsmittel: In Episode 2 gelangen wir in den Besitz einer Kamera, mit der sich Zahlen und Buchstaben, die man mit bloßem Auge nicht sieht, ausfindig und sichtbar machen lassen. In Episode 3 kommt erstmals eine spezielle Uhr zum Einsatz, mit der sich die Zeit zurückdrehen lässt und hinderliche Gegenstände in ihre Ausgangsposition zurückbefördert werden können. Im Prinzip belanglos ist das Aufspüren von Goldmünzen, die überall im Spiel verteilt sind. Jäger und Sammler unter den Adventure-Fans mag es eventuell freuen, wenn sie möglichst viele davon gefunden haben, rein spielerisch sind die goldenen Taler aber wertlos. Sie können auch nicht in die nächste Episode mitgenommen werden. Wie übrigens keines der aufgelesenen Objekte, denn diese stehen immer nur für die jeweilige Episode zur Verfügung, weil sie nur dort benötigt werden. Bei der nachfolgenden Episode fangen wir wieder mit einem leeren Inventar an.

      Kurz vor der Leichenstarre

      Decay - The Mare ist aufgrund seines herkömmlichen Rätsel-Designs ein sehr konservatives Adventure geworden, was vor allem Anhängern älterer Point & Click-Abenteuer entgegenkommen dürfte. Bezogen auf Äußerlichkeiten ist dieser traditionelle Aspekt weniger von Vorteil. Denn optisch erschien der Titel bereits im (Erscheinungs-)Jahre 2015 nicht etwa nur konservativ, sondern antiquiert. Die Spielwelt wirkt ausgesprochen künstlich und damit unnatürlich. Ursächlich dafür ist neben der grafischen Tristesse die Leblosigkeit, die sich quasi wie ein starrer Schleier über die Standbilder legt. Ein Eindruck, der sich durch die etwas sperrige Steuerung (keine 360°-Drehung möglich) noch verstärkt. Ähnliche "Probleme mit der Statik" sind bei First-Person-Adventures allgemein bekannt. Doch was man bei älteren Titeln wie Scratches oder Barrow Hill vor gut fünfzehn Jahren noch hinzunehmen bereit war, ist bei einem Titel jüngsten Datums einfach nicht mehr akzeptabel. Klickt man auf eine Schranktür, so ist diese offen. Klickt man ein zweites Mal darauf, ist sie geschlossen. Die Übergänge werden nicht dargestellt. Animationen sind - von den wenigen Zwischensequenzen abgesehen - dann auch äußerst selten. An einer Stelle im Spiel blinzeln uns Augen unheimlicher Gestalten an, die auf einem Gemälde abgebildet sind, im Nebenraum läuft ein Deckenventilator, oder im Flurbereich flackert ein Licht. Das war es im Großen und Ganzen aber schon. Hier ist der Spieler inzwischen weitaus Besseres gewohnt, auch von Indie-Titeln.

      Ein weiteres Manko: Dialoge werden nur in Textform angezeigt (unter anderem in deutscher Sprache), was eindeutig zu Lasten der Atmosphäre geht, weil man dadurch irgendwie den Eindruck gewinnt, von lauter Taubstummen umgeben zu sein und ständig mitlesen muss. In Decay - The Mare gibt es zwar einen recht guten englischen Sprecher, der zu hören ist, wenn er Zeitungs-Artikel o.ä. vorliest (für besagte Texte gibt es ebenfalls deutsche Untertitel), sich sonst aber in Schweigen hüllt. Von diesem Mangel abgesehen lässt sich am Sound aber wenig auszusetzen. Die zumeist sphärischen Klänge im Hintergrund vermitteln ein Gefühl des Unbehagens, wobei es Decay - The Mare nicht gelingt, dauerhaft jene beklemmende Grusel-Atmosphäre aufzubauen, die z.B. ein Titel wie Scratches von Anfang an erzeugen und über weite Spielabschnitte hinweg auch zu halten vermochte. So ganz ohne Spannung verläuft Sams Entdeckungs-Tour dann doch nicht. Dafür sorgen die wenigen, aber geschickt eingestreuten Jump-Scares. Zum Teil gut gemachte Herz-Kasper-Effekte, die uns für gewöhnlich ausgerechnet dann erwischen, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Ich verrate natürlich nicht, welche das sind, muss aber gestehen, dass die Entwickler in dem Punkt solide Arbeit geleistet haben. Fraglich bleibt allerdings, warum der Spieler vor dem Aufheben oder Benutzen eines Gegenstandes jedes Mal gefragt wird, ob er dies auch tun möchte. Natürlich möchte er das. Ihm bleibt wohl auch kaum eine andere Wahl, wenn er vorankommen will. Aber Danke der gütigen Nachfrage.

      Fazit

      "Rätsel ziemlich top, technisch eher ein Flop", so ließe sich Decay - The Mare in Kurzform beschreiben. Die Knobeleien sind abwechslungsreich und machen Spaß. Die Story verdient keinen Literaturpreis, ist aber immerhin interessant genug, um den Spieler zu motivieren, alle drei Episoden abzuschließen. Die Jump-Scares sorgen zudem für einige herrlich-schauerliche Überraschungs-Effekte. An die altbackene Grafik und die teilweise verwirrenden Momente bei der Navigation (Steuerung) gewöhnt man sich zwar nach etwa dreißig Spielminuten, doch gehen diese Dinge zu Lasten der (Grusel-)Atmosphäre und hätten einfach besser gemacht werden können. So bleibt Decay - The Mare letzten Endes nur ein Indie-Adventure unter vielen. Kein schlechtes, aber auch keines, für das man unbedingt 10 € (Download-Fassung) oder 15 € (Retail-Version) ausgegeben haben muss, zumal die Gesamtspielzeit von knapp drei Stunden ziemlich mager ausgefallen ist.

      PRO:
      - viele klassische Rätsel
      - Hilfe-Funktion
      - stimmige Hintergrundmusik
      - Jump-Scares ("Schock-Effekte")


      CONTRA:
      - altbackene Grafik
      - umständliche Steuerung
      - Dialoge nicht vertont
      - kurze Spielzeit