Interview mit John Cleese

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    • Interview mit John Cleese

      Der Darjeeling leuchtet am Morgen wie ein besonders schöner Sonnenaufgang in dünnem Porzellan: „Hello, mein Name ist John. “ Seine Stimme klingt, als trüge sie Cordhosen. Er bestreicht Brötchenhälften mit Orangenmarmelade. Er ist hellwach. Und wütend. Worüber? Wir werden sehen . . .

      John, wann haben Sie das letzte Mal ferngesehen?

      Ich kann mit einem Eierlöffel Fledermäuse töten.

      John, wann haben Sie das letzte Mal ferngesehen?

      Wir wollten uns über das Fernsehen unterhalten? Dazu müssen Sie wissen, dass ich das Fernsehen hasse. Ob privat oder öffentlich, ich boykottiere es. Ein jedes Abendprogramm gleicht einer einzigen, gigantischen Demütigung. Der so genannte Fernsehmarkt wird von Dummheit, Langeweile und Angst bestimmt. Ich bin zu alt, um mich mit solchen Dingen abzugeben. Also muss ich Ihnen leider jetzt schon sagen: Sie langweilen mich.

      Herrjeh, Entschuldigung...

      Wenn Sie in mein Alter kommen, möchten Sie jeden Morgen aufwachen und die Sonnenstrahlen durchs Fenster scheinen sehen. Am Abend möchten Sie einschlafen, vom Mond beschienen. Das Fernsehen stört da nur. Im Fernsehen geht es ausschließlich ums Popeln und um Sex. Wenn man sich überlegt: Ich frühstücke gerade.

      O.k., Sie kritisieren den Fernsehmarkt, aber zugleich verdanken Sie ihm Ihren Ruhm.

      Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, was Sie meinen.

      Die Sendeanstalt BBC finanzierte immerhin drei Staffeln „Monty Python’s Flying Circus“. Ihre Firma, die „Video Arts Company“, macht hochprofitable Fernsehwerbung; der Produzent John Cleese ist mit amerikanischen und deutschen Sendern im Geschäft.

      Ich muss Sie korrigieren. Meine Firma habe ich verkauft; der US-amerikanische Sender ABC hat eine vorzügliche Fernsehserie, in der ich einen zynischen TV-Mogul spiele, nach der zweiten Folge abgesetzt. Für RTL in Deutschland habe ich einen Pilotfilm für eine Serie produziert, die niemals gesendet werden wird, weil schon der Pilotfilm den Verantwortlichen nicht gefiel. Und auch mit der BBC liege ich im Clinch. Dort regiert der Wahnsinn. Mögen Sie Marmelade? Ich brauche unbedingt Marmelade zum Frühstück. Und Second Flush Darjeeling. Sagen Sie, aus was für einer Stadt kommen Sie eigentlich?

      Aus München.

      Wie aufregend! München ist eine wunderbare Stadt! Eine Stadt der Bohemiens. München gleicht ein wenig dem London der Fünfzigerjahre. Ich bin schon oft in München gewesen... die Frauen... fantastisch. Und es gab auch diesen sonderbaren deutschen Regisseur, der meines Wissens auch aus München kam, wie hieß er doch gleich...

      Rainer Werner Fassbinder?

      Fassbinder! Genau! Warten Sie, ich erinnere mich an ein Zitat dieses anstrengenden, aber phantastischen Regisseurs: „Man muss zumindest versuchen zu beschreiben, was man nicht verändern kann.“ Oder so ähnlich. Aber ich verliere mich schon wieder in Details. Ich möchte gern all Ihre Fragen zum Fernsehen beantworten, bitte fragen Sie doch weiter.

      Die Menschen lieben Ihren Humor. Sie haben sehr erfolgreiche Kinofilme gemacht; Ihre Comedyserie „Fawlty Towers“ hat sich allein in Großbritannien auf Video 700 000 Mal verkauft. Sie wird auch in Deutschland, obwohl sie schon rund 30 Jahre alt ist, kultisch verehrt. Warum reden Sie so schlecht vom Fernsehmarkt?

      Schauen Sie, die Zeiten haben sich geändert. Allerorten regiert die Angst, zu versagen, eine Entscheidung zu treffen, die sich lediglich für das Publikum, nicht aber für den Sender auszahlt. Ich möchte Ihnen von früher erzählen. Nicht, dass ich allzu viel von „Monty Python’s Flying Circus“ halte. Für mich persönlich war die ganze Angelegenheit eher ein Unglück; ständig wurde ich auf der Straße angehalten und musste primitive Sketche aufführen. Der Arbeitstitel unserer Serie war „Sex And Violence“, was die Sache im Kern trifft. Die Zuschauer waren irritiert, wir wurden verklagt, wegen der Nacktheit und all’ der toten Tiere. Aber weil die BBC durchhielt und die Serie nicht absetzte, ist schließlich ein Klassiker daraus geworden.

      Jeder Schuljunge lernt seitdem von Monty Python, dass die Welt der Erwachsenen eine bizarre Veranstaltung ist.

      Jedenfalls hat es sich für die BBC gelohnt, standhaft zu bleiben, trotz aller Angriffe. So würde man heute nicht mehr agieren. So etwas wie den „Flying Circus“ würde man heute erst gar nicht produzieren.

      Was auch daran liegt, dass es an guten Stoffen mangelt.

      Wo denken Sie hin! Egal, in welchem Land ich arbeite, überall treffe ich auf kreative, warmherzige Menschen. Sie werden in der Regel schlecht bezahlt, aber sie haben eine Unmenge guter Ideen im Kopf. Nur haben diese Menschen in den entscheidenden Momenten überhaupt nichts zu sagen. Diese Menschen gleichen Löwen, die von Affen zur Schlachtbank geführt werden.

      Ein Bild, mit dem das Verhalten von Feldherren im Ersten Weltkrieg beschrieben wurde.

      Über einen Krieg sprechen wir auch, über einen Krieg der Respektlosen gegen eine jede Kreativität. Über einen Krieg des Schwachsinns gegen das Schöpferische. Jeder sollte sich fragen, auf welcher Seite er dabei steht. Wissen Sie, wo die Eierlöffel sind?

      John, steigern Sie sich da nicht in etwas hinein?

      Sind Sie verrückt? Nennen Sie mir auch nur eine Comedyserie, die Sie in den letzten Monaten überzeugt hat. Sie brauchen gar nicht zu antworten: Es gibt keine. Je höher Sie blicken, je höher die Hierarchieebene ist, desto schlechter organisiert sind die Entscheidungsträger. Das psychologische Profil eines leitenden Angestellten bei, sagen wir, der BBC, hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten grundlegend verändert. Kamen die Executives früher noch selbst aus dem Geschäft und wussten, wie man ein Drehbuch schreibt oder einen Schauspieler in den Nervenzusammenbruch treibt, wird der Fernsehmarkt heute ausschließlich von Wirtschaftsspezialisten bevölkert, denen vollkommen egal ist, ob sie eine Comedyserie kaufen oder eine Müllverbrennungsanlage oder Eierlöffel, an denen offensichtlich ein extremer Mangel besteht, wenn man nur einmal diesen Frühstückstisch betrachtet.. .

      ... schauen Sie mal unter Ihrer Serviette nach. Meist liegen sie dort.

      Yes Sir, da liegt er, vielen Dank. Also: Diese Wirtschaftsmenschen jedenfalls haben kein Gefühl dafür, ob eine Serie längere Zeit erfolgreich laufen kann oder nicht. Zudem fehlt ihnen ein jedes Vertrauen. Sie denken nicht kreativ, sie sitzen in ihren Büros neben dehydrierenden Hydrokulturpflanzen und starren auf vollkommen sinnlose Statistiken. Ich denke, die ausgezeichnete Sitcom „Cheers“ würde man heute ebenfalls sofort absetzen. Und ein Leben ohne „Cheers“ stellt sich zumindest meine Frau als etwas sehr, sehr Grausames vor.

      Die Künstler sind kreative Menschen. Der Markt ist böse. Ist das nicht etwas simpel?

      Sie sind nett, denn Sie haben mir gezeigt, wo mein Eierlöffel liegt. Aber Sie missverstehen mich! Das Tätigen von Geschäften jeglicher Art ist für sich genommen schon ein kreativer Akt. Nur verroht die Kultur, in der dieser Akt vorgenommen wird, vor unseren Augen. Es gehört viel Talent und Cleverness und Geschick und Phantasie dazu, den Abteilungsleiter von ABC dazu zu bewegen, zur Freude aller Menschen einen großen Humbug zu finanzieren, und ihm klarzumachen, dass sich das Ganze auch noch für den Sender rechnet. Wenn Sie diesem Abteilungsleiter nun aber in die Augen blicken, und da ist nichts als eine bloße Zahl, eine Tabelle oder Statistik, verkommt das Kreative, das immerhin das Kapital einer jeden Kulturgesellschaft darstellt.

      Was tun Sie gegen diesen Zustand?

      Anfangs habe ich mich in Großbritannien mit kleineren Aufrufen zur Wehr gesetzt, die sich allerdings schnell als blinder Aktionismus herausstellten.

      Zum Beispiel?

      Es gab diese Kampagne innerhalb einer anderen Kampagne. Wie hieß sie nochmal? Genau: „Stress Erleichterung“. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, in möglichst hässlicher Kostümierung zur Arbeit zu gehen. Daraufhin fuhren Massen von Menschen mit spitz zulaufenden Hüten zur Arbeit. Wir wollten zeigen, wie schwachsinnig und phantasielos der Vorgang des Arbeitens an sich ist und den Menschen etwas von ihrer Verspanntheit und Angst nehmen. Das einzige greifbare Ergebnis war leider, dass ein lokaler Fernsehsprecher gefeuert wurde, weil er versuchte, mit einem Hitlerbärtchen das Wetter zu moderieren. Schade.

      Jetzt leben Sie in den Vereinigten Staaten.

      Was den Amerikanern sympathischerweise völlig abhanden gekommen ist, ist dieses verbissene europäische Bedürfnis, sich allerorten zurückzuhalten. Ich lebe mit meiner wunderschönen Frau auf einer Ranch in Santa Barbara. Wir haben Pferde. Wir brauchen das Fernsehen nicht mehr. Außer HBO. HBO ist wirklich ein ausgezeichneter Sender. Der Rest ist „Rudelhühnern“!

      Wie bitte?

      „Rudelhühnern“ ist ein deutsches Wort, das mir Alfred Biolek vor vielen Jahren beigebracht hat. Ein großartiger Produzent alter Schule, der Monty Python vor einer Ewigkeit ins deutsche Fernsehen gebracht hat. Wir haben einige Folgen in deutscher Sprache gedreht; die Sendungen mussten aber nachsynchronisiert werden, weil uns niemand verstand. „Rudelhühnern“ war eins der wenigen Worte, die wir deutlich und gut aussprechen konnten.

      Eingangs sagten Sie, im Fernsehen ginge es nur ums Popeln und um Sex. Wurde die Entwicklung, die dazu führte, nicht von Ihnen mitangestoßen?

      Perfiderweise ja. Doch Monty Python verarbeitete wenigstens noch den Schock, den das Leben mit sich bringt, wenn man erfährt, wie es wirklich um die Erwachsenenwelt bestellt ist. Das war wenigstens noch einigermaßen originell. Was ich hingegen wirklich hasse, sind die schlechten und lieblosen Produktionen, die den Markt dominieren. Es gibt sie tonnenweise.

      Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

      Es ist eine Sache des Anstands und der Höflichkeit, auf dieses Angebot nicht einzugehen.

      Und ganz generell?

      Ganz generell möchte ich mich an dieser Stelle gern einmal über das Phänomen der so genannten Realityshows verbreiten. Sendungen mit Containern oder öffentlichen Casting-Wettbewerben gefallen den neuen Produzenten und den Abteilungsleitern des Fernsehmarktes nicht nur, weil sie so unbeschreiblich billig herzustellen sind – schließlich müssen sie nur eine viertklassige Moderatorin anstellen, und kein störender Schauspieler fällt dem Sender zur Last. Nein, auch die Lorbeeren für das Konzept kann der jeweilige Abteilungsleiter gleich für sich reklamieren: Ihm gebührt auf kurze Sicht der zweifelhafte Ruhm, diese oder jene Realityshow ins Fernsehen gebracht, in manchen Fällen sogar erfunden zu haben. Die Comedyserie „Fawlty Towers“, von der Sie vorhin sprachen – kaum einer weiß heute noch, wer bei der BBC die Gelder bewilligte und die Sendung ins Fernsehen brachte. Das Berühmtwerden war den Schauspielern vorbehalten. Dabei war der Entscheidungsträger ein hochtalentierter, gebildeter, unglaublich kreativ denkender Mann. Und kein Idiot, der sich vor einem anderen Idioten mit der billigsten Sendung der Welt profilieren wollte.

      Sie sprechen viel von Qualitätsverlusten. Sehen Sie die eigentlich auch in anderen Lebensbereichen?

      Unterschiedlich. Schlechte Restaurants beispielsweise gibt es, so scheint es zumindest, seit es Menschen gibt. Was mir auffällt – entschuldigen Sie, falls ich Sie dadurch indirekt beleidige sollte –, ist das insgesamt sinkende Niveau von Tageszeitungen. Sie werden zum einen immer ungenauer, zum anderen sagt man in den Redaktionen oft: „Diese Geschichte ist einfach zu gut, um überprüft zu werden, lasst sie uns einfach drucken!“ Diesen Zustand empfinde ich aus tiefstem Herzen als unbefriedigend.

      Sie sind ein Pessimist.

      Das Ganze hat auch seine guten Seiten. Mit dem Entsetzen darüber, dass alle Führungseliten wenig kompetent und im Regelfall sogar wahnsinnig sind, muss man umgehen lernen. Mein Umgang damit hat viele Menschen zum Lachen gebracht; ein heilsames Lachen, das ihnen Kraft geben mag, sich zu wehren oder einfach gegen eine allgemeine Traurigkeit anzukämpfen – eine Traurigkeit, die zweifellos in diesen Zeiten den Verhältnissen entströmt.

      von Ingo Mocek

      John Cleese, 62, wurde mit der revolutionären Fernsehserie „Monty Python’s Flying Circus“ bekannt, die von 1969 bis 1974 von der BBC gesendet wurde. Neben den Episoden der Sitcom „Fawlty Towers“ machte ihn vor allem der Film „Ein Fisch namens Wanda“ berühmt. Cleese, der als Drehbuchautor, TV- und Werbefilmproduzent tätig war und zwei sehr erfolgreiche Familien- Ratgeber schrieb, lebt in dritter Ehe mit der Psychoanalytikerin Alice Faye Eichelberger zusammen. Sein neuer Film „Rat Race“ kommt am 22. August in die Kinos.



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      *lol*

      "Ich kann mit einem Eierlöffel Fledermäuse töten" *lol*