Wings: Remastered - Amiga-Klassiker im neuen Gewand - (PC-)User-Review
Sinn und Unsinn von Neuauflagen und HD-Remakes werden immer wieder heiß diskutiert. Viele Spieler sehen darin lediglich eine clevere Marketing-Strategie von Studios und Publishern, ihre ollen Kamellen in leicht aufpolierter Form und für teures Geld nochmals auf den Markt zu werfen, um so zeitversetzt und bei vergleichsweise geringem Kostenaufwand gleich doppelt abzusahnen. Andererseits: Klassiker wie Gabriel Knight: Sins oft the Fathers (1993) mögen das Herz eines jeden Retro-Sammlers höher schlagen lassen, schön anzuschauen sind sie heute nicht mehr. Und die extrem umständliche Steuerung des fast zweieinhalb Jahrzehnte alten Grim Fandango möchte man sich als Spieler der Gegenwart erst recht nicht mehr antun. Neuauflagen können also auch eine Chance sein, Mängel des Originals zu beseitigen, ehemals populäre, aber mittlerweile in Vergessenheit geratene Spiele-Schätze wieder in Erinnerung zu rufen und in zeitgemäßer Ausführung einer jüngeren Spielergeneration zugänglich zu machen. Gelingt dies der Wings: Remasterd Edition?
Ritter der Lüfte
Der Erste Weltkrieg war ein Land- und Stellungskrieg. Doch während die gewaltigen Materialschlachten, das anonyme Massensterben am Boden, immer grausamere Dimensionen annahmen und auf den Schlachtfeldern von Verdun und an der Somme hunderttausende Infanteristen elendig in Stacheldrähten und Schützengräben verbluteten, ging es unter den Fliegern noch sportlich zu. Der deutsche Jagdflieger Oswald Boelcke (1891-1916) schilderte einmal, wie seine Bord-MGs plötzlich Ladehemmung hatten, ausgerechnet als er sich gerade im Luftkampf mit einem britischen Piloten befand. Der Engländer erkannte die Situation, flog seitlich an Boelckes Doppeldecker ran, winkte ihm freundlich zu, drehe ab und verschwand dann hinter die eigenen Linien. Der Brite hätte den in diesen Minuten wehrlosen Deutschen mühelos abschießen können. Aber er tat es nicht. Ein wahrer Gentleman.
Pilot des Royal Flying Corps
In Wings übernehmen wir die Rolle eines englischen Piloten, der dem 56. Geschwader des Royal Flying Corps angehört. Vor uns liegt eine umfassende Singleplayer-Kampagne mit ca. 230 Einzelspielermissionen, wobei wir nicht gleich zu Beginn, sondern erst gegen Mitte des Ersten Weltkrieges, im Jahre 1916, einsteigen. Unser Auftrag ist klar: Siegreich sein, dem Corps alle Ehre machen und vom einfachen Piloten (Unterleutnant) bis zum Lieutenant Colonel (Oberstleutnant) aufsteigen.
Ein kurzes Tutorial macht uns mit den Grundlagen der Fliegerei vertraut. Schnell wird deutlich: Schwer zu handhaben sind die Flugzeuge nicht. Mit wenigen Tasten und ganz ohne Gamepad oder andere zusätzliche Eingabegeräte lassen sich alle Aktionen im Nu bewältigen. Dann dem eigenen Flieger geschwind noch ein paar Skills für Flug- und Schießkunst, Ausdauer und Mechanik zuweisen, den Anstrich (gelb, grün) bestimmen und los geht's. Keine Komplexität, kein 100-Seiten-Begleithandbuch, keine lange Einführung, einfach nur richtig pur Feuer. Ein Spiel für Einsteiger und Gelegenheitsspieler. Natürlich geht das Fliegen-für-jedermann-Rundum-Schnellpaket eindeutig zu Lasten des Simulationsgehalts. Allerdings dürfte der von den meisten Käufern kaum ernsthaft erwartet worden sein, war doch bereits das betagte Original auf Arcade getrimmt. Wer Wert auf Realismus legt, der greift besser gleich zu Rise of Flight, so der Titel einer 2009 veröffentlichten WW1-Fliegersimulation, die physikalisch-technische Feinheiten besser herausstellt.
Von Jägern, Bombern und Tieffliegern
Im Singleplayer erwarten uns drei Spiel-Modi: Luftkampf, Bombardierung und Tiefflug. Als Bomberpilot steuern wir unseren Flieger aus der Vogelperspektive (Draufsicht) und nehmen uns schwere, nicht oder nur wenig bewegliche Ziele wie Gebäude, Flughäfen, Brücken oder feindliche U-Boote vor (warum die deutschen U-Boote bei Bombardement nicht einfach abtauchen, wird wohl das Geheimnis der Entwickler bleiben).
Die Tiefflug-Missionen, in denen wir das Geschehen aus einer isometrischen Perspektive (schräg-seitlich) erleben, richten sich vor allem gegen leichtere Ziele wie Infanterie, Nachschub-Kolonnen, kleinere Munition-Depots, Eisenbahnzüge oder Artillerie. Allzu ungestüm sollten wir dabei aber nicht vorgehen. Zerstören wir beispielsweise ein gegnerisches Sanitätsfahrzeug, von denen unten auf der Erde auch einige rumgurken, dann gibt das kräftig Punktabzug auf unserem Piloten-Konto. Einrichtungen und LKWs, die der medizinischen Versorgung dienen, sind tabu und dürfen keinen Schaden nehmen.
Den Großteil der Einzelspielermissionen machen allerdings die klassischen Luftkämpfe (Dogfights) aus. Hier stürzen wir uns tollkühn und mit wehendem Pilotenschal auf deutsche Ein-, Doppel- und Dreidecker oder attackieren bzw. verteidigen feindliche oder eigene Beobachtungsballons und Bomber-Flotten. Per Tastendruck können wir in die Ego-Perspektive wechseln, was aber nur Sinn macht, wenn wir nah genug am Gegner sind und ihn voll ins Visier nehmen können, um unsere tödlichen Salven direkt ins Ziel zu lenken. Ansonsten sehen wir von hinten nur den im Cockpit sitzenden Piloten und die Tragflächen seiner Maschine, eine Ansicht, die insbesondere bei massiverem Gegner-Aufkommen übersichtlicher ist.
Kampf über den Wolken
Ein Luftkampf dauert oft nicht länger als zwei bis drei Minuten und ist – wie die zum Teil noch kürzeren Bomben- und Tiefflugmissionen – nicht sonderlich fordernd, selbst auf dem höchsten der drei einstellbaren Schwierigkeitsgrade nicht. Die feindlichen Piloten agieren weder sonderlich geschickt, noch besonders treffsicher. Hier macht sich das Fehlen eines Multiplayer-Parts negativ bemerkbar; dort hätte man gegen von Menschenhand gesteuerte Flugzeuge und damit vielleicht etwas cleverere Gegner antreten können. Die limitierte Flugphysik bringt es zudem mit sich, dass unser Aktionsradius stark eingeschränkt ist. Zwar können wir jetzt per Tastendruck vom Platz des Piloten aus nach links, rechts und nach hinten blicken (das ging im Original nicht), aber spezielle Flugmanöver, z.B. Loopings, sind weiterhin nicht möglich und die Fluggeschwindigkeit lässt sich nicht beeinflussen. Ziehen wir die Nase unseres Doppeldeckers zu steil nach oben, gerät der Motor ins Stottern. Probleme mit der Funktionstüchtigkeit bekommen gelegentlich auch die Maschinengewehre. Spätestens dann, wenn sie überhitzen, weshalb man extremes Dauerfeuer vermeiden und stattdessen kurze, kontrollierte Feuerstöße abgeben sollte.
Früher oder später erwischt es einen dennoch. Nicht immer sind feindliche Kugeln der Grund. In drei der über zweihundert Missionen bin ich mit anderen Fliegern zusammengeprallt. Bei höherer Flugdichte, wenn sich etliche Maschinen gleichzeitig in der Luft bekriegen, kann nämlich auch das passieren. Fallschirme gehörten damals noch nicht zur allgemeinen Grundausstattung eines jeden Piloten, so dass ein Crash oder Absturz dessen sicheren Tod bedeutete.
Um Freund von Feind nach Möglichkeit schon aus weiter Entfernung unterscheiden zu können, lassen sich Ziele bzw. gegnerische Flugzeuge bei Bedarf über die Einstellungen im Optionsmenü markieren. Dennoch geschah es, dass ich im Eifer des Gefechts einen verbündeten Flieger abschoss, was in der Flieger-Liste rot vermerkt wurde und mir auch sofort einen Anschiss vom Geschwader-Commodore, Colonel Charles Farrah, einbrachte. Wiederholen sich solche oder ähnliche Fehler häufiger, werden wir abgelöst und unehrenhaft aus dem Royal Flying Corps entlassen.
Umgekehrt werden militärische Erfolge wie erledigte Missionsaufträge und Abschüsse feindlicher Flugzeuge mit Punkten, Beförderungen und Tapferkeits-Auszeichnungen bis hin zum Victoria Cross gewürdigt. Sterben wir im Einsatz, werden wir durch einen jüngeren Piloten ersetzt, der dann gleich nach unserem heldenhaften Ableben als Neuzugang dem 56. Geschwader beitritt und die Kampagne fortsetzt. Oder wir setzen sie selber fort, müssen dann aber ein oder zwei der vorangegangenen Missionen wiederholen.
Gameplay & Präsentation
Spielerisch ist Wings: Remasterd Edition eine Umsetzung des Amiga-Originals im Verhältnis 1:1. Entsprechende Neuerungen, Erweiterungen oder überhaupt Gameplay-bestimmende Veränderungen sucht man also vergeblich. Hierin liegt wahrscheinlich auch das größte Problem der Neuauflage, denn Spielmechanismen, die in den frühen 90er Jahren noch als geradezu revolutionär galten, sind längst veraltet und reißen den Spieler heutzutage einfach nicht mehr vom Pilotensitz.
Die Einsätze, Auftragsziele und Schauplätze wiederholen sich zu oft und werden deshalb schnell eintönig. Hat man die ersten 30 Missionen absolviert, hat man im Prinzip schon alles gesehen und erlebt in den darauffolgenden 200 Copy & Paste-Missionen ein ständiges Déjà-vu. So ganz den Spaß verliert man trotzdem nicht. Zwar lassen sich im weiteren Spielverlauf keine neuen Flugzeuge und Ausrüstungsgegenstände erwerben, doch motiviert die Tatsache, dass wir Abschüsse sammeln, Orden erlangen und im militärischen Rang aufsteigen können. Zumindest anfangs. Major ist man bereits nach Abschluss der ersten 40 bis 50 Missionen, und Auszeichnungen wie das Military Cross bekommt man auch relativ schnell an die Uniform geheftet.
Was dem Ganzen dann doch noch so etwas wie einen erzählerischen Rahmen gibt, sind die Tagebucheintragungen, die uns in bestem Englisch von einem sehr guten Sprecher zwischen den jeweiligen Einsätzen vorgelesen werden. Die Texte, die auch in deutscher Sprache angezeigt werden können, berichten vom Frontalltag der Kampf-Flieger, deren Sorgen und Nöte, persönliche Erlebnisse und stellen auch immer wieder Bezug zu historischen Hintergründen wie dem Kriegseintritt der USA oder militärischen Groß-Operationen ("Ludendorff-Offensive") her. Natürlich finden auch berühmte Gegner wie Manfred v. Richthofen Erwähnung.
In grafischer Hinsicht wirkt die via Kickstarter-Kampagne finanzierte Remastered Edition trotz HD-Facelift altbacken. Niedrig aufgelöste Texturen bestimmen insbesondere in den Bomber- und Tiefflugmissionen das Bild, und so kann es nicht weiter verwundern, dass die Neuauflage zu Wings aus dem Jahre 2014 (Erscheinungsjahr der hier behandelten Remastered-Ausführung) nicht besser aussieht als Wings of War, so der Titel einer anderen WW1-Flugsimulation aus dem Jahre 2004, wobei dadurch gleichzeitig ein gewisser Retro-Charme erhalten bleibt und die Remastered Edition auch auf weniger leistungsstarken Rechnern flüssig läuft.
In Sachen Akustik gibt es wenig auszusetzen. Waffensounds und Soundtrack wurden komplett überarbeitet. Wer es nostalgisch mag, der kann übers Optionsmenü den Originalsoundtrack von 1990 aktivieren.
Fazit
Mit der Remastered Edition hat sich die HD-Neuversion zu Wings zwischen alle Stühle gesetzt. Retro-Fans werden im Zweifelsfall weiterhin zum Original greifen, während jüngere Spieler mit dem veralteten Spielprinzip und der grafisch mäßigen Präsentation nur wenig anfangen dürften. Die Edition ist weder Bruchlandung noch Überflieger, sondern landet irgendwo dazwischen. Für wen ist die Neuauflage dann geeignet? Wahrscheinlich für Leute wie mich, die das ganz Alte nicht mögen, aber mit dem allzu Neuen auch nicht immer einverstanden sind.
PRO:
- Thema Erster Weltkrieg (unverbrauchtes Setting)
- kurzweilige Action
- Bezug zu historischen Ereignissen
- leichte Bedienung
- guter Sound (Musik, Sprecher)
- Spielumfang (ca. 230 Missionen)
CONTRA:
- kein spielerischer Tiefgang/kein Simulationsgehalt
- nicht wirklich fordernd
- eintöniges Missionsdesign
- kein Multiplayer
- maue Grafik
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