Die neue Arroganz der Älteren, oder: Wie Verlage Politik bestimmen wollen
Deutschland erlebt in diesen Tagen einen Kultur-Putsch, mit dem der Axel Springer Verlag zusammen mit dem offenbar neuen Busenfreund, dem Spiegel Verlag, das Sommerloch füllen will. Gemeinsam haben sie am Freitag die Rückkehr zur alten Rechtschreibung verkündet.
Das Schlimme: Sie tun dies nicht allein in ihrer Funktion als Verlag oder Herausgeber, sie thematisieren dies auch als selbst geschaffenes Thema in ihren Publikationen. Damit werden die Redaktionen der beiden Verlage von Beobachtern zu Akteuren: Sie berichten nicht, sie schaffen selber Themen und Stimmungen. Was bei der „Bild“-Zeitung niemanden mehr stört, verwundert bei Blättern, die bislang Anspruch auf ausgewogene Berichterstattung erhoben haben.
Merkwürdig ist dabei auch, dass Verlage Politik und Leser vor vollendete Tatsachen gesetzt haben: Sie fordern selbst, man hätte die Deutschen vor vielen Jahren fragen sollen, ob sie überhaupt eine neue Rechtschreibung haben wollen, verzichten aber selbst auf jegliche Rücksichtsnahme und mischen sich aktiv in politische Themen ein, wie es sonst in Deutschland nur selten der Fall war. Sie nehmen sich das Recht heraus, in einer Sprache zu schreiben, die ab 2005 nicht mehr gültig ist. Im rechtsstaatlichen Sinne eine wirkliche Revolte, ein Tabu-Bruch der Presse.
"Ich lerne die bestimmt nicht"
Dabei fällt auf: Das Thema Rechtschreibreform wird zum Generationenkonflikt. Mit einer offenen Arroganz forderte „Bild am Sonntag“-Chefredakteur Claus Strunz am Sonntag bei „Sabine Christiansen“: „Die Sprache gehört dem Volk“ und verlangte eine Volksabstimmung. Dabei setzt er offenbar auf die Faulheit eines Großteils der Deutschen, sich auf die neuen Regeln einzustellen. Natürlich ist es bequemer, bei dem zu bleiben, was man sein Leben lang kannte. „Ich lerne die bestimmt nicht“, so Strunz über die neue Rechtschreibung. Da braucht man politisch nicht einmal links zu stehen, um dem „BamS“-Chefredakteur da maßlose Ignoranz zu unterstellen.
Die Erkenntnis, dass die Rechtschreibreform angeblich nicht praktikabel sei, kommt reichlich spät. Es ist ja nicht so, dass die Reform nicht kritisiert werden dürfte. Nur merkwürdigerweise wird sie dies erst jetzt, wo auch alle anderen und nicht nur die Kinder danach schreiben müssen. Seit Jahren werden bereits unzählige Jahrgänge von Schülern auf die neue deutsche Rechtschreibung trainiert und haben dabei in der Praxis keine Probleme. Wieso? Weil sie nun einmal nur diese Rechtschreibung kennen.
Klassiker bleiben Klassiker - so oder so
Völlig absurd und polemisch ist das Argument der Reform-Kritiker, fast alle Klassiker der deutschen Literatur würden weiterhin in alter Rechtschreibung gedruckt. Natürlich bleiben frühere Werke in der Schrift, in der sie formuliert wurden, so wie es bei allen anderen Reformen der deutschen Sprache ebenfalls war. Schon vor der jetzigen Reform wunderte sich mancher Schüler über altmodische Ausdrücke und Schreibweisen bei z.B. Gedichten aus früheren Jahrhunderten. Das war bislang so und es würde durch die Reform nicht tangiert.
Darüber hinaus verkennt die aktuelle Diskussion eben, dass seit vielen Jahren in deutschen Schulen die neue deutsche Rechtschreibung gelehrt wird. Sie ist bei Millionen von Kindern und jungen Erwachsenen die genutzte und bekannte deutsche Rechtschreibung. Jetzt aber kommt die Revolte der Verlage: Wer sitzt dort an der Spitze? Sicher niemand, der sich so intensiv mit der neuen deutschen Rechtschreibung beschäftigt hat, wie Millionen junge Deutsche.
Ein Chaos schaffen jetzt erst die Verlage
Ein Chaos entsteht also nur, wenn jetzt aus Faulheit, Gewohnheit oder Angst vor dem Neuen viel zu spät gegen eine Reform argumentiert wird, die bereits seit Jahren in der Praxis umgesetzt ist. Auf wundersame Art und Weise scheint jetzt, ein Jahr vor der endgültigen Umstellung, die Panik unter den Älteren auszubrechen, künftig nach neuen Regeln schreiben zu müssen. In letzter Minute soll ein von Verlegern und Chefredakteuren ausgelöstes Chaos die Chefetagen und sonstige Reform-Unwillige vor der zwanghaften Weiterbildung retten. Es könnten einem fast die Tränen kommen.
Jetzt sollen es also wieder einmal die Kinder ausbaden: Sie sollen doch noch schnell wieder die alte Rechtschreibung lernen. So sollen also die Jüngsten den Rückschritt wagen und damit viele ältere Erwachsene vor dem Fortschritt bewahren. Die Erwachsenen hätten seit Jahren Zeit gehabt, sich mit den neuen Regeln vertraut zu machen; viele Kinder müssten jetzt mitten in ihrer Schulzeit quasi eine neue Sprache erlernen. So eine Ignoranz derjenigen, die jetzt die Rücknahme der Reform fordern, ist kaum in Worte zu fassen.
"Betroffen sind doch nur die Kinder"
Jetzt treibt die niveaulose Polemik von Spiegel und Springer perverse Blüten bei den Deutschen: „Es sei doch gar nicht so schwer, die Reform jetzt noch zu stoppen“, hört man. Oder: „Betroffen sind doch nur die Kinder.“. Herzlichen Glückwunsch an Spiegel und Springer. Willkommen in der „kinderfreundlichen Republik“.
Es ist fast unglaublich, wie heuchlerisch vor diesem Hintergrund Themen wie „familienfreundliche Politik“ erscheinen. Wenn es um die eigene Bequemlichkeit geht, sich mit den neuen Regeln zu beschäftigen, sind die sonst so gern geschützten Kinder völlig egal. Da sollen also jetzt Millionen Schulkinder und junge Erwachsene, die in ihrer Schulzeit die neuen Regeln gelernt haben, wieder umschulen? Wozu? Vermutlich damit Spiegel und Springer dann in einem Jahr wieder in Titelstorys über die PISA-Studie berichten können, wie schlecht es um die Kenntnisse der deutschen Schüler steht. Immerhin wissen sie dann, woran es liegt.
Dieses Statement wurde im Namen der DWDL-Redaktion verfasst und soll die Situation aus der Sicht der jungen Erwachsenen betrachten, die in ihrer Schulzeit, Ausbildung, Studium oder Job bereits seit Jahren völlig selbstverständlich die neue Rechtschreibung benutzen - natürlich nach wie vor auch mit gelegentlichen Fehlern.
Quelle: dwdl.de/conpresso/medien-inhal…&kategorie=medien-inhalte
Super Kommentar und 1893% Zustimmung von mir!
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